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Kandidat im Schwebezustand

Daniel Farago turnt zur richtigen Zeit
in den falschen Disziplinen gut

- von Barbara Klimke

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Seine Sporttasche hatte Waleri Belenki mitgebracht nach Halle an der Saale.
Doch als am Sonnabend die zweite Olympia-Qualifikation der Kunstturner begann, verzichtete er darauf, sich umzuziehen. In schwarzen Jeans und schwarzem Hemd saß Belenki, der Weltmeister und Olympiasieger, zwischen seinen kurzbehosten Kollegen auf einer Holzbank. Die Trauerfarbe war passend zur Gemütsverfassung gewählt. "Ich hatte gedacht," seufzte Belenki, "der Cheftrainer gibt mir noch ein bisschen mehr Zeit."

Ein Zuverlässiger fehlt
Waleri Belenki, 30 Jahre alt, leidet an den Folgen einer Schulteroperation vom Februar.
Die Olympia-Qualifikation kam für ihn zu früh. Beim ersten Ausscheidungs-Wettkampf vor einer Woche war er nur an zwei Geräten angetreten - und wurde Letzter. In Halle wäre er erneut ohne Chance gewesen. Er entschloss sich deshalb zur Risikominimierung und schonte die lädierte Schulter, was Cheftrainer Rainer Hanschke bedauernd zur Kenntnis nahm: "Er war immer einer der zuverlässigsten Turner, und er wird uns fehlen." So stand schon vor dem Nominierungs-Vorschlag der Olympia-Riege, die der Deutsche Turner-Bund (DTB) am heutigen Montag bekannt geben wird, eine Entscheidung fest: Wenn in Sydney die Athleten in die Arena einmarschieren, wird Belenki sich die Zeit zu Hause in Stuttgart vertreiben.

Mit leichter Melancholie verfolgte er, wie sich die Kollegen bei Cheftrainer Hanschke für die sechs Olympia-Plätze empfahlen. Dimitri Nonin vom SC Berlin wurde zum Gesamtsieger gekürt, er hatte die erste Qualifikation gewonnen, diesmal war er Zweiter hinter René Tschernitschek aus Halle. Olympiasieger Andreas Wecker turnte sich auf Platz drei. Am meisten beeindruckt, sagte Belenki, der untätige Experte, habe ihn im Mehrkampf jedoch nicht das Trio der Besten, sondern der Viertplatzierte, Daniel Farago aus Berlin. Farago aber wirkte nicht glücklicher als Belenki, was daran lag, dass er bis zur Nominierung im Schwebezustand verharren muss. Platz sechs und vier sprechen für ihn, doch die Zugehörigkeit zum sechsköpfigen Olympia-Team wird nicht nach dem Einmaleins errechnet. Am Beispiel Farago zeigt sich, welch grausamer Arithmetik sie folgen kann.

Ein Kunstturner ist kein Hammerwerfer, bei dem der Trainer ausschließlich mit Blick auf die Weite den Daumen hebt oder senkt. Die Geräteartisten des DTB werden für Olympia weniger nach ihren individuellen Stärken als nach dem Kriterium der Mannschaftsdienlichkeit ausgewählt. Farago wusste am Sonnabend selbst nicht, ob er sich Hoffnung machen durfte. "Er hat sich nach vorn geschoben", sagte Hanschke
lediglich vage - die Frage ist nun, ob es gereicht hat.
Der Cheftrainer sucht vor allem nach Sprungwundern, nach Athleten, die auf der Bodenmatte und beim Pferdsprung phänomenale Elemente präsentieren. In diesen beiden Disziplinen schwächelt die DTB-Riege traditionell. Daniel Faragos außergewöhnliche Begabung aber zeigte sich am Sonnabend am Reck, am
Pauschenpferd und an den Ringen. Beim Sprung und am Boden lagen die Noten unter 9,0. An beiden Geräten, sagte er, "müsste ich mich absetzen von anderen".

Mangel an Zeit
Sein Berliner Trainer Lutz Landgraf glaubt im Nachhinein, dass es für Daniel Farago besser gewesen wäre, hätte er im Juli auf ein DTB-Trainingslager in Dubai verzichtet. Dort wurde mehr an konditionellen Grundlagen als an technischen Finessen gearbeitet: "Das war schön und motivierend", sagte Landgraf, "aber nun fehlt uns Zeit." Er ahnt, wie hart es einen Turner treffen könnte, nicht für Olympia nominiert zu werden - vor allem,
wenn er wie Farago seit vier Jahren immer zu den besten sechs Athleten zählt. Für den Stuttgarter Waleri Belenki ist dieses Schicksal inzwischen Gewissheit, doch er will weiterturnen bis zur nächsten Weltmeisterschaft. "Jetzt aufzuhören", sagte Belenki, der Olympiasieger, "wäre wirklich ein blöder Schluss."  Barbara Klimke

(Artikel Berliner Zeitung vom 31. Juli 2000)

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Wecker durchleidet heftige Turbulenzen:

Nach der Qualifikation für seine vierten Sommerspiele kritisiert der Olympiasieger das Kampfgericht
- von Barbara Klimke

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Nach dem Pferdsprung saß Andreas Wecker auf dem Hosenboden.
Er hatte schon vorher gewusst, dass diese Landung wacklig werden würde. Turbulenzen bei seinem Flug übers Gerät konnte Wecker am Sonnabend nicht ausschließen, denn ihn plagten beim Sechskampf in Halle zwischenzeitlich Magenkrämpfe.

Lindernd wirkten auch die Noten nicht.

Noch am Sonntag, der Magen hatte sich beruhigt, war der Reck-Olympiasieger von 1996 über das Kampfgericht verärgert. Zwar hatten die Juroren ihm am Pauschenpferd die Tageshöchstnote 9,7 zuerkannt. Die Wertung an Ringen (9,025) und Barren (9,55) aber empfand er als unverständlich: "An der Barrenübung war nicht der kleinste Makel." Im Alter von 30 Jahren hat sich Andreas Wecker am Wochenende für seine vierten Olympischen Spiele qualifiziert, er fand, "das sollte im Vordergrund stehen". Wecker aber fürchtete, dass die Juroren international falsche Signale setzten. Wenn derart mäßige Noten im Internet erscheinen, sagte er, "dann weiß ich nicht, ob das im Interesse des deutschen Turnens sein kann". Auch die Vorstellung seines 21-jährigen Kollegen Dimitri Nonin vom SC Berlin (55,450) stufte er höher ein als jene des Tagessiegers René Tschernitschek (Halle/55,475).

Cheftrainer Rainer Hanschke hatte nicht erwartet, dass Tschernitschek, der bislang vor allem beim Sprung brillierte, die zweite Olympia-Qualifikation gewinnen würde. Wecker, der einmal Zweiter, einmal Dritter (55,050) wurde, war von Hanschke von vornherein für die Olympia-Riege eingeplant: "Ohne Wecker fahre ich nicht nach Sydney", stellte Hanschke klar.

Wer Nonin, Wecker und Tschernitschek nach Australien begleitet, wird am heutigen Montag verkündet. Sven Kwiatkowski (Chemnitz) und Daniel Farago (Berlin), die den kompletten Sechskampf turnten, zählen zu den Kandidaten. Ebenso der Mehrkampfmeister Sergej Pfeifer (Hannover), der nach einer Rückenverletzung noch auf den Sprung verzichten musste. Gute Chancen hat auch Jan-Peter Nikiferow (Berlin), dessen Bodenkür (9,3) Hanschke so einschätzte: "Das war das Beste, was ich seit langem gesehen habe." Einen dieser sieben Athleten aber wird Trainer Hanschke zu Hause lassen müssen. (kli.)

(Artikel Berliner Zeitung vom 31. Juli 2000)

 

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