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update: 18-SEP-2002

Berlin

Die Riege der Rebellen

Im Streit zwischen Turnern und Verband über Zentralisierungsmaßnahmen ist keine Einigung in Sicht

- von Barbara Klimke -

  Kommende Woche versammeln sich die Aufständischen in Kienbaum, um an Reck und Ringen zu turnen. Die Vorbereitung auf einen Länderkampf gegen Weißrussland steht an, aber ob sich im brandenburgischen Idyll eine friedliche Arbeitsatmosphäre entwickeln kann, muss bezweifelt werden. Die Riege des Deutschen Turner-Bundes (DTB) opponiert gegen ein Verbandskonzept, sie rebelliert gegen den Vizepräsidenten und sie hat den Nationaltrainer aus dem Amt gejagt.


Kampfesstimmung!
Tom Neubert, Sven Kwiatkowski, Coach Henry Vogel

Ende August, beim letzten Trainingslager in Kienbaum, erläuterten Vizepräsident Eduard Friedrich (Rostock), Sportdirektor Wolfgang Willam (Frankfurt a. M.) und der damalige Cheftrainer Rainer Hanschke (Cottbus) ihr Vorhaben, bis Olympia 2004 die 14 besten Turner an zwei Stützpunkten, in Berlin und Stuttgart, zusammenzuziehen. In den Ohren der Athleten klang das wie ein sturer Marschbefehl: "Sie haben uns behandelt wie die Kinder", sagt der 25 Jahre alte Sergej Pfeifer (TK Hannover). Der Widerstand der Sportler gegen die Umzugspläne war so massiv, dass der Cheftrainer zurücktrat.
Kurz darauf reisten Kaderathleten aus ganz Deutschland nach Berlin, um mit DTB-Präsident Rainer Brechtken zu diskutieren. Er strebt für jene, die noch in Halle, Hannover, Chemnitz oder Cottbus trainieren, eine "Lösung in vernünftiger räumlicher Nähe zu ihrem Umfeld an". Vom Sinn der "Trainingsgemeinschaften", wie er sie nennt, ist Brechtken gleichwohl überzeugt: "Aber es wird keiner erpresst."
Tatsächlich hat der Verband die Aktion inzwischen sozialverträglicher konzipiert: Den Betroffenen werde eine Heimfahrt pro Monat spendiert, kündigte Friedrich an; für den Wohnungswechsel werde mittels Sporthilfe ein Zuschuss gewährt; die Laufbahnberater der Olympiastützpunkte sollen auch den Lebensgefährtinnen der Athleten behilflich sein; es werden Wohngemeinschaften in Berlin und Stuttgart 

angeboten - und wer eine eigene Unterkunft bevorzuge, erhalte einen Mietzuschuss. "Es ist in diesem Verband immer viel über die Verbesserung des Status der Athleten geredet worden", sagt Friedrich: "Nur über die Verbesserung der Leistung wird zu wenig nachgedacht." 

Seiner Idee zufolge befördert Zentralisierung des Trainings die Konkurrenz der Turner - und damit den Leistungswillen. Die Mannschaft des DTB belegte bei Olympia 2000 Platz zehn. Diese Bilanz muss laut Friedrich bis Athen dringend verbessert werden, um einer drohenden finanziellen Rückstufung im Fördersystem des Deutschen Sportbundes zu entgehen.

Das sehen die Trainer nicht anders
, wie Reinhard Rückriem bestätigt, der in Hannover Sergej Pfeifer (25) betreut: "Aber ich bezweifle, dass die Zentralisierung eine wahnsinnige Leistungsexplosion bewirkt." Der Landestrainer glaubt, dass ein Wohnortwechsel auf die Athleten eher leistungsmindernd wirkt, so lange sie sich noch nicht eingelebt haben. Pfeifer beispielsweise arbeitet zwei Tage pro Woche bei VW - dass er die Stelle nicht aufgeben will, ist verständlich; der DTB hat ihm angeboten, mit der Firma über die Fortzahlung der vollen Bezüge zu verhandeln, auch wenn Pfeifer nicht mehr in Hannover trainiert. Aber der verweist auch auf seine renovierte Wohnung, die er nicht aufgeben will für "ein Experiment".


Sergej Pfeifer, TK Hannover

Sven Kwiatkowski (25), deutscher Mehrkampf-Meister, glaubt ebenfalls, dass er mit einem Umzug zu viel aufs Spiel setzt: "Ich turne seit zwanzig Jahren in Chemnitz", sagte er, "meine Leistungen sind hier entwickelt worden. 


Kwiatkowski, KTV Chemnitz

"Er bezieht sein Gehalt von der Sportfördergruppe der Bundeswehr, er wohnt mit seiner Freundin zusammen, "und wenn es nicht so gut läuft im Training, habe ich ein Umfeld, das die Enttäuschungen wegpuffert". Kwiatkowski gehört zu den vier Turnern, die sich der Zentralisierung verweigern: "Ich will keine Konfrontation", sagte er: "Aber ich will auch nicht anderthalb Jahre nach Berlin."
Friedrich kann Kwiatkowski verstehen - nur ersparen, sagte er, könne er ihm nicht, dass sein Leben unbequemer wird: "Ich werde den Plan bis zum Ende meines Mandats zu verwirklichen versuchen." 

Auf Gegenliebe stößt das nicht: Niedersachsens Turnerbund will den Rücktritt des Vizepräsidenten fordern.
Barbara Klimke

(Quelle: Berliner Zeitung vom 18.09.02; Hervorhebungen,und Bildunterschriften: gymmedia
Fotos: Andreas Seidel, Chemnitz/ gymmedia)

  .. siehe dazu auch Themen im GYMforum  und bei www.deutsche-turnliga.de 

(Fotos: A. Seidel/gymmedia)

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