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update: 09-SEP-2002

PRESSESPIEGEL. RSG Grand Prix Berlin:

Die Ferse als Kuscheltier

Gymnastin Alina Kabajewa kehrt in die Weltspitze zurück

- von Barbara Klimke -

 

BERLIN, 8. September. Ein Reifen, der auf dem großen Zeh balanciert, ist kein alltäglicher Anblick. Selbst Livia Medilanski, als Cheftrainerin der deutschen Gymnastinnen mit allen erdenklichen Stellungen großer Zehen vertraut, kann bei der Betrachtung noch ins Grübeln verfallen. Die Organisatoren des Gymnastik-Grand-Prix in Berlin hatten ein Bild mit Reifen und Fußspitze als Plakatmotiv gewählt. "Aber weiß jeder Zuschauer in der Halle, was das bedeutet?", fragte Medilanski: 
"Dahinter steckt harte Arbeit und langes, sehr diszipliniertes Training."
Die weltbesten Gymnastinnen können mehr, als einen Reifen mit dem Fuß festhalten. Sie lassen ihn auf dem Rücken dribbeln, wie Alija Jussupowa aus Kasachstan. Sie können, wie die Spanierin Almudena Cid Tostado, ein Bein senkrecht in die Höhe strecken und mit ihrem Fuß einen Ball fest klemmen, als hätten sie am Knöchel einen Klettverschluss. Und sie führen den Fuß rückwärtig Richtung Kopf, legen sich die Ferse sacht auf die Schulter, als wäre sie eine Art Kuscheltier und jonglieren dabei mit Keulen - etwas, das nur Alina Kabajewa kann.

Rhythmische Sportgymnastik ist der Versuch, mit vier Handgeräten die Schwerkraft zu überwinden. Die Russin Alina Kabajewa wurde berühmt, weil sie nebenbei auch die Gesetze der Anatomie auf den Kopf stellen kann. 


Alina Kabajewa: "Miss Turnier" in Berlin und wieder auf bestem Wege zur "Nr. 1" in der Welt

Sie hatte seit 1998 die Sportart beherrscht und verändert durch erstaunlichste Verbiegungen, die der Weltverband (FIG) als nachahmenswert empfahl. Doch dass sie am Wochenende auch in Berlin die Norm setzen würde, hatte so keiner voraussagen können. Alina Kabajewa (19) hatte sich wie ihre russische Kollegin Irina Tschaschtschina (20) seit Oktober 2001 keinem Wettbewerb mehr stellen dürfen; beide waren wegen Dopings, der Einnahme des Diuretikums Furosemid, gesperrt.

Nach Berlin kamen sie dank eines vorläufigen Urteils des Sportgerichtshofs Cas, der ihre Suspendierung aussetzte. Die abschließende Verhandlung wurde - durch glückliche Verfügung oder verständnisvolle Richter - erst für November, nach der EM, anberaumt. So äußerten sich Kabajewa und Tschaschtschina nun mit keinem Wort zu ihrem Dopingfall, sondern erklärten beide nur bescheiden lächelnd, dass sie Europameisterinnen werden wollen.

Irina Tschaschtschina >>
- Berliner Dreifach-Siegerin

Die Chancen sind tatsächlich bestens. Tschaschtschina schmaler, kleiner, quirliger als die Konkurrentin, setzte sich im Mehrkampf sofort wieder an die Spitze der versammelten Weltelite. Zusätzlich siegte sie in den Finals mit Reifen und Keulen.  Und Kabajewa konnte sich im Mehrkampf sogar leisten, dass ihr Reifen und Ball versprangen: Sie wurde Dritte hinter der grandiosen Bulgarin Simona Peitschewa, die drei der WM-Titel innehat, die dem russischen Duo nach dem Dopingtest aberkannt wurden. Am Sonntag gewann Kabajewa das Finale mit dem Seil. Wenn ihr noch etwas fehlt, dann ist es Kondition, auch wenn ihre Trainerin Irina Viner versicherte, dass sich die Musterschülerin in den vergangenen Monaten keinen Urlaub gönnte. Die Zeit der Sperre aber hat Kabajewa nicht unverändert gelassen: Sie wirkt erwachsener, weniger schmächtig, und sie legt Wert darauf, dass ihre Programme femininer wirken.

Ansonsten sei alles wie immer, an Preisrichter und Noten denke sie nicht, sie genieße den Auftritt - was man so sagt, wenn die strenge Trainerin danebensteht und übersetzt. Mit Genugtuung aber wird Kabajewa registriert haben, dass ihr ein Wettkampf genügte, die alte Ordnung wieder herzustellen. Sie hat alle hinter sich gelassen, die zuletzt die Spitzenplätze ihres Sports einnahmen: die Rivalin Sarina Gisikowa etwa, die in ihrer Abwesenheit die Grand-Prix-Wertung übernahm.

Der Rest der Welt hat sich abgefunden mit dem Fakt, dass Alina Kabajewa noch immer Gesetze außer Kraft setzt, die für andere bindend sind. "Ich weiß, dass ich nie so beweglich sein werde wie sie", sagte die 16 Jahre alte deutsche Meisterin Annika Rejek aus Leverkusen, die in Berlin ihren ersten großen internationalen Wettkampf bestritt: "Ich weiß, dass ich für alles sehr, sehr hart arbeiten muss." Eine Arbeit, die Cheftrainerin Livia Medilanski zu Genüge kennt: Auf dem Fuß einen Reifen zu balancieren, kann allein ein einziger Kraftakt sein.     Barbara Klimke
(Quelle: Berliner Zeitung vom 09.09.02; Hervorhebungen: gymmedia)

 

(Foto: gymmedia)

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update: 09-SEP-2002

PRESSESPIEGEL. RSG Grand Prix Berlin (2)

Perfekte Schau:
World Cup der Rhythmischen Sportgymnastik 
begeistert 4000 Zuschauer

Gymnastin Alina Kabajewa kehrt in die Weltspitze zurück

... von Sebastian Schlichting

Der «Berlin World Cup» in der Rhythmischen Sportgymnastik war ein voller Erfolg. Mehr als 4000 begeisterte Zuschauer an den beiden Tagen in der Max-Schmeling-Halle erlebten glänzende Darbietungen aller Teilnehmerinnen an den vier Geräten, aber auch die erwartete Dominanz der Athletinnen aus der Ukraine und Russland.
Einen Ball hochwerfen, das ist machbar. Ihn im Stand wieder aufzufangen, stellt auch noch keine größere Schwierigkeit dar. Ihn nach zwei Vorwärtsrollen wieder aufzufangen, geht schon an die Grenzen des Machbaren. Den Ball im Spagat mit einer Hand hinter dem Rücken zu fangen, geht weit über diese Grenze hinaus. Eigentlich.
Jeder Normalbürger könnte das Sportgerät wahrscheinlich am anderen Ende der Halle wieder einsammeln. Die Weltstars der Rhythmischen Sportgymnastik nicht. Sie scheinen ihre Handgeräte magisch anzuziehen. Egal ob es sich um den Ball, die Keulen, den Reifen oder das Seil handelt, sie finden fast immer wieder den Weg zu ihren Besitzerinnen zurück.
Am Wochenende trafen sich die allerbesten Gymnastinnen in der Max-Schmeling-Halle zum Berlin World Cup 2002. Die Veranstaltung gehört erstmals zur insgesamt acht Turniere umfassenden Grand Prix Serie. Die absolute Überlegenheit der Starterinnen aus Ost- und Südosteuropa wurde dabei wieder einmal bestätigt.


Weltmeisterin Peitschewa (BUL)
... nur Dritte mit dem Seil

Elf von zwölf Treppchenplätze in den vier Disziplinen gingen an die Ukraine (fünf) oder Russland (sechs). Lediglich der dreifachen Weltmeisterin Simona Peitschewa aus Bulgarien gelang es mit dem Seil, Platz drei zu belegen. 
Erfolgreichste Gymnastin war die Russin Irina Tschaschtschina. Sie gewann mit dem Reifen (27,925 Punkte) und den Keulen (28,025) und schaffte in den anderen Disziplinen Rang zwei.

Ihre Landsfrau Alina Kabajewa gewann das Handgerät Seil (27,775), die Ukrainerin Anna Bessonowa mit dem Ball (27,850).

Bessonowa >>
aus der "Derjugina-Schule" Kiew

Die beiden Russinnen kehrten nach einjähriger Dopingsperre erstmals wieder auf den 13 mal 13 Meter großen Teppich zurück. Und begeisterten die insgesamt 4300 Zuschauer, als wären sie nie weg gewesen. «Gestern war ich sehr aufgeregt. Heute war es okay», sagte Irina Tschaschtschina nach den gestrigen Finals. In der internen russischen Wertung zog Alina Kabajewa am Ende noch gleich. Die Zuschauer wählten sie in der fünften Disziplin zur «Miss Turnier». Ranglistenpunkte und Preisgeld gibt es dafür zwar nicht. Aber beim Publikum gut angekommen zu sein, freute die 19-Jährige Olympia-Dritte von Sydney trotzdem sichtlich: «Mir ist beides absolut wichtig», entschied sie kurz und knapp. Der Unterstützung der Zuschauer konnten sich auch die deutschen Teilnehmerinnen sicher sein. «Toi, Toi, Toi Germany» und «Viel Glück» stand auf liebevoll bemalten Transparenten. Aber für die vorderen Ränge reichte es erwartungsgemäß nicht. Die vierfache Deutsche Meisterin Annika Rejek kam im Mehrkampf, der als Qualifikation für die Finals galt, nur auf Platz 28. Isabell Piepiorra wurde 26. Durch die Wildcard-Regelung durfte die dritte Deutsche, Olga Lukjanov an allen vier Finals teilnehmen, wo sie jeweils den achten und damit letzten Platz belegte.

Peter Hanisch, Präsident des Landessportbundes Berlin und des Berliner Turnerbundes bekannte sich als großer Fan der Rhythmischen Sportgymnastik. «In der Halle ist eine großartige Stimmung», sagte er. Dafür sorgten vor allem die 250 Kinder des Jugendclubs. Neben preisgünstiger Unterkunft in Berlin und dem Besuch der Veranstaltung stand auch Sightseeing und Basteln auf dem Programm. «Es geht nicht nur um den Sport», betont Hanisch, der im kommenden Jahr noch mehr Kinder für das Rundum-Programm gewinnen möchte.
Eine Änderung wird es beim nächsten World Cup auf alle Fälle geben. Die Qualifikation soll in zwei Hallen parallel ausgetragen werden. Denn nur wenige der knapp 2000 Zuschauer am ersten Tag hielten den siebenstündigen Sportgymnastik-Marathon bis zum Ende durch.
(S. Schlichting, Bln. Morgenpost, 09.09.2002;  Hervorhebungen und Fotos: gymmedia) )

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update: 09-SEP-2002

PRESSESPIEGEL. RSG Grand Prix Berlin  (3):

Ihr Lächeln bleibt

Die Potsdamerin Isabell Piepiorra trainiert Tag für Tag – beim Berlin World Cup der Sportgymnastinnen war sie trotzdem ohne Chance

- von Jutta Meier -

 


Isabell Piepiorra: Ex-Potsdamerin, jetzt TSV Schmiden

Der Oberkörper liegt auf dem Boden. Das Rückgrat ist extrem gebogen, die Fußspitzen tippen neben den Schultern auf die Matte. Es gibt Leute, denen wird schlecht, wenn sie so etwas sehen. Isabell Piepiorra beginnt so ihre Keulen-Kür. Sie läuft und springt über die Matte, wirft die Keulen hoch und fängt sie in der Luft wieder auf. Nur zweimal lässt sie die Keulen fallen. Doch sie turnt weiter, ihr Lächeln bleibt. Und die Fans in der Max-Schmeling-Halle jubeln bei jeder geglückten Übung. Isabell Piepiorra hat hier, beim Berlin World Cup der Rhythmischen Sportgymnastik, ein Heimspiel. Nun ja, fast. Sie kommt aus Potsdam.
Es sieht alles so spielerisch aus, so locker, so leicht, aber Isabell Piepiorra hat sich nur durch harte Arbeit bis zum Wettkampf nach Berlin durchgekämpft. Sechs Stunden trainiert die 16-jährige Schülerin täglich, mit Seil, Reifen, Ball, Keulen und Band. 

Jeden Tag von halb vier nachmittags bis halb zehn abends. Davor steht sie 90 Minuten im Ballettraum. Zweimal pro Woche trainiert sie zudem drei Stunden noch vormittags.

So oder so ähnlich sieht das Trainingspensum der meisten der 37 World-Cup-Teilnehmerinnen aus. Und trotzdem belegten vor allem die Russinnen wieder die vordersten Plätze. Irina Tschaschtschina und Publikumsliebling Alina Kabajewa, die bis Ende Juni wegen des Verdachts auf Doping gesperrt waren, landeten im Mehrkampf auf Platz eins und Platz drei. In den Einzelfinals siegte Tschaschina mit dem Reifen und der Keule und wurde Zweite mit dem Ball und dem Seil. Tschaschina und Kabajewa, wurden letztes Jahr positiv getestet und verurteilt. Sie protestierten und dürfen jetzt doch starten. Bis alles endgültig geklärt ist.
Woher kommt diese Übermacht? „In Russland gibt es viel mehr Mädchen, die sich für Rhythmische Sportgymnastik begeistern, und dementsprechend mehr Trainingszentren“, sagt Sonja Schmeißer, die Pressechefin des World Cups. Schulische Ausbildung und Training seien dort besser organisiert.

Isabell Piepiorra besucht ein Gymnasium in Schmiden, eine Partnerschule ihres Vereins TSV Schmiden. In Schmiden, bei Stuttgart, steht das Bundesleistungszentrum Sportgymnastik. Dort trainiert Isabell Piepiorra.

Vor fünf Jahren wurde sie bei der deutschen Junioren-Meisterschaft entdeckt. Sie belegte zwar nur Platz 20, aber ihre jetzige Trainerin Galina Krylenko erkannte ihr Talent und holte sie nach Schmiden. Seither geht es bergauf. 2001 wurde sie schon Vierte bei den Deutschen Meisterschaften, in diesem Jahr holte sie mit dem Reifen sogar den Titel. Im Mehrkampf wurde sie Deutsche Vize-Meisterin.

Und jetzt Berlin, der World Cup. Ihr erster großer internationaler Wettkampf. 
Doch Livia Medilanski, die Chef-Bundestrainerin, warnte vor zu hohen Erwartungen. „Wir haben nicht so viele Talente wie die Russen“, sagt sie, „aber mit Isabell besitzen wir eine disziplinierte Athletin, die sich technisch stark verbessert hat.“ Die Technik wird in der Sportgymnastik immer wichtiger. Das neue Reglement verlangt von den Athletinnen immer schwierigere Übungen. „Eine Kür besteht nur noch aus aneinandergereihten Elementen“, beklagt Isabell Piepiorra. „Das Tänzerische geht völlig verloren.“
Für Talente wird es so noch schwieriger, an die Weltspitze vorzudringen. Deshalb ist die 16-Jährige mit ihrer Leistung in Berlin zufrieden, auch wenn sie im Mehrkampf nur 26. wurde. „Mein größtes Ziel war die Qualifikation für die Europameisterschaft in Madrid. Und die habe ich geschafft.“ 

(Jutta Meier / Tagesspiegel, 09.09.2002)Hervorhebungen und Fotos: gymmedia) )

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