dpa

17-09-2000

Krisenstimmung nach Scheitern der deutschen Turner 

Sydney (dpa) - Mit dem deutschen Turnen geht es weiter abwärts. Nach den Frauen, die sich gar nicht erst für Sydney qualifizieren konnten, haben sich am Samstag auch die Männer aus der Eliteklasse verabschiedet. Der zehnte Platz im Zwölfer-Feld sagt mehr als tausend Worte.

»Es herrschen Katerstimmung und tiefe Niedergeschlagenheit«, erklärte Sportdirektor Wolfgang Willam nach dem Mehrfach-Absturz. Cheftrainer Rainer Hanschke befand: »Bisher haben wir den Zipfel zur Weltspitze gehalten, hier haben wir ihn loslassen müssen.«

Einzig Marius Toba (Hannover), mit 32 Jahren der Senior und als zweiter Ersatz erst am Abflugtag zur Mannschaft gestoßen, hatte Grund zum Strahlen. »Ich wollte ins Ringe-Finale, und das habe ich gepackt. Bei Beginn mit Null ist alles möglich«, blickte der Vize- Europameister von 1996 optimistisch in die Zukunft.

Für den nach einer 9,662 am Reck entthronten Olympiasieger Andreas Wecker sind die Spiele von Sydney dagegen schon vorbei. »Mein Hauptziel war die vierte Olympia-Teilnahme, damit habe ich mir meinen Traum erfüllt. Aber hier turne ich nicht mehr«, erklärte Wecker wenige Stunden nach dem sportlichen Debakel gegenüber der ARD. Der Grund: Seine lädierte Schulter, die ihn seit Tagen quälten.

Wecker schied im Zorn: Der Champion zeigte am Sonntag bei der »Blauen Stunde« seinem Teamkollegen Sergej Pfeifer, der ihn wegen mangelnder Leistung kritisiert hatte, den »Stinkefinger« und verließ nach nur 20 Minuten wutentbrannt die Sitzung. »Das kann ja wohl nicht sein, dass mir ein international kaum erfolgreicher Youngster mangelnde Leistungsbereitschaft vorwirft«, erregte sich der Berliner.
Trotz einer schmerzhaften Schulterverletzung habe er sich uneingeschränkt in den Dienst der Mannschaft gestellt und sogar sechs Übungen geturnt. Er hielt dem Sechskampf-Meister vor, durch Patzer am Seitpferd und Reck Resultat und Platzierung heruntergezogen zu haben: »Der sollte nicht reden, sondern mehr trainieren und dann entsprechende Leistungen und Erfolge vorweisen. Ich wenigstens habe meinen Job gemacht.«

Nach der verpassten Mannschafts-Qualifikation - es fehlten 2,398 Punkte zum sechsten Platz, der zum Einzug in die Medaillenrunde nötig war - standen zumindest nominell die erhofften drei Finals zu Buche: Toba am Einzelgerät sowie Andreas Wecker und Dimitri Nonin (beide Berlin) im 24er Sechskampf. Doch nur Toba und Nonin werden noch einmal an die Geräte springen.

»Mein Abschneiden ist enttäuschend, aber mehr war einfach nicht drin«, meinte Wecker. Gehandicapt durch die Verletzung, schmerzte den 30-Jährigen sein Auftritt: Keine neuer Olympia-Triumph am Reck wie in Atlanta, kein Barren-Finale mit geplante Weltpremiere, kein Applaus mehr auf der olympischen Bühne.

Der desolate Auftritt der Mannschaft hat Konsequenzen: Ab sofort gibt es keinen A-, sondern nur einen B-Kader, dessen finanzielle Förderung erheblich schrumpfen wird. Seit 1988 geht es steil bergab: In Seoul war die DDR Zweite, 1992 die gesamtdeutsche Riege Vierte, 1996 wurde Deutschland Fünfter und 1996 Siebter. Ähnlich rückläufig auch die Resultate bei den Weltmeisterschaften: 1991 Dritte, 1994 Fünfte, 1995 Siebte, 1997 Sechste und 1999 Achte.

Das Fehlen der verletzten Olympiasieger Waleri Belenki und Sergej Scharkow sowie von Sven Kwiatkowski und Daniel Farago war nicht zu verkraften. »Vier Turner dieser Güteklasse kann keine Mannschaft ersetzen«, schwante Hanschke schon vorher Schlimmes.

Zwar legten seine Mannen mit 38,250 beim Auftakt am Seitpferd einen tollen Start hin und zogen mit 38,212 an den Ringen. Auch am Reck mit 38,061 turnte die Mannschaft über Limit. Darunter waren dann die 37,662 am Barren, total daneben Sprung mit 36,999 und Boden mit 36,098 Punkten.

 
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