Interview

Andreea Raducan (ROM)

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"Trau keinem Erwachsenen"

Diese Lehre hat Andreea Raducan aus den Vorgängen bei den Olympischen Spielen in Sydney gezogen. Nichtsahnend hatte sie die Pillen geschluckt, die ihr der rumänische Mannschaftsarzt verordnet hatte. Weil in dem Medikament gegen Schnupfen das verbotene Pseudoephedrin enthalten war, ist ihr die Goldmedaille im Mehrkampf wegen Dopings aberkannt worden.


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Jetzt ist sie vorsichtiger geworden, um nicht später für die Fehler anderer büßen zu müssen. "Ich bin nicht mehr die Andreea Raducan von damals. Weder körperlich noch mental", sagt sie.

Damals war sie noch ein Kind. Klein und zerbrechlich wirkte sie vor einem Jahr. Heute ist sie eine hübsche junge Frau mit weiblichen Rundungen, die auf den Werbetafeln von Janssen & Fritsen ebenso attraktiv wirkt wie im Wettkampfdress.
Die paar Pfunde mehr haben ihr Training und ihren Übungsaufbau völlig verändert.

Sie konzentriert sich jetzt auf andere Elemente als früher, "wegen der Verletzungsgefahr" erklärt Raducans Trainer Octavian Belu, auch Cheftrainer der rumänischen Turnerinnen. Wenn ein Turnerin älter werde, würden die Gelenke immer stärker belastet. Deshalb müsse sie auf manche akrobatische Teile verzichten und dafür mehr athletische und tänzerische Elemente in ihre Kür einfügen.

Dass der neue Code de Pointage genau das Gegenteil vorsieht, macht die Situation nicht einfacher. "Vor allem am Stufenbarren ist es sehr schwierig geworden, einen hohen Ausgangswert zu erzielen", seufzt Andreea Raducan.
Trotzdem kann sie dort eine 9,8 anbieten, am Sprungtisch hat sie zwei Sprünge mit 9,8 und 9,6 auf Lager, der Boden schwankt zwischen 9,9 und 10 und am Balken hat sie eine klare 10 – hofft sie. "Die Kampfrichterinnen haben eine ungeheure Spannweite bei den Abzügen, weil sie nicht nur die Ausführung, sondern auch Sicherheit und Originalität bewerten sollen", erläutert die rumänische Spitzenturnerin in Gent. "Ich hoffe, die guten Wertungen zu bekommen."

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Der erste WM-Wunsch ging schon in Erfüllung: Andreea gewann Gold mit dem Team

Ihr wichtigster Wunsch bei den Weltmeisterschaften in Gent ist bereits in Erfüllung gegangen - die Verteidigung des Mannschaftstitels – die Freude war riesig.

Und nun möchte sie auch gern eine Einzelmedaille mit nach Hause nehmen, "egal wo."
Natürlich geht Raducan als Favoritin im Mehrkampf an den Start, auch wenn sie dies mit einem Kopfschütteln verneint.
Schließlich könne im Wettkampf allerhand passieren. Und dann ist sie auch noch leicht gehandicapt durch eine Knieverletzung, die sie sich in einem Ländervergleich mit den Niederlanden zugezogen hat.

Ohnehin sei die Vorbereitung auf die WM sehr hart gewesen: Neuer Code, neue Übungen, immer wieder Testwettkämpfe. Dass sich die Schülerin am Sportkolleg in Deva dieser Herausforderung gestellt hat, hat natürlich mit Sydney zu tun. "Damals wollte ich aufhören. Aber Sydney hat mich motiviert, weiter zu machen." Sie sei nicht mehr so nervös wie noch bei den Olympischen Spielen, gehe mit ganz anderen Emotionen in die Wettkämpfe: "Ich habe inzwischen so große Erfahrung und fühle mich viel sicherer als früher", strahlt die inzwischen 18-Jährige Zuversicht aus.

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Dieses Gefühl der Sicherheit wollte sie von vornherein auf ihre Teamkameradinnen übertragen: "Mir fällt jetzt die Führungsrolle zu," fügt sie selbstbewusst hinzu. Und wie man im Mannschaftsfinale sehen konnte, hat sie diese Aufgabe ausgezeichnet bewältigt.

Nun richtet Raducan den Blick in die Zukunft. Sydney habe sie verarbeitet, sie versuche, nur die positiven Dinge in Erinnerung zu behalten. Nach der WM wolle sie Schritt für Schritt über ihre sportliche Zukunft entscheiden.
Die Gesundheit und ihre Leistung seien die entscheidenden Faktoren dafür, wie lange sie noch turnen werde: "Es ist mein Ziel, immer besser zu werden und in Athen starten zu können, weil das in Sydney nicht meine Schuld war."

Das Gespräch für GYMmedia führte Reinhard Linder - es fotografierte Don Johnson