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Sven
Kwiatkowski
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Eigentlich
wollten Sven Kwiatkowski und Tom Neubert
die gegenwärtige Trainingsphase ohne Wettkampfbelastungen nutzen,
um sich sehr intensiv auf die Einzel-WM im November vorzubereiten.
Denn um sich für dieses Championat bei einem Länderkampf im
Oktober zu qualifizieren, müssen Übungen mit dem höchsten
Ausgangswert von 10 nach neuem Modus sicher gezeigt werden. Körperlich
fit, können die Chemnitzer Spitzenturner zwar gegenwärtig ihr
Pensum absolvieren. |

Tom Neubert
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Doch wie ein Damokles-Schwert schwebt
über ihnen eine noch nie da gewesene Unsicherheit hinsichtlich ihrer
Zukunft. „Man versucht die Sache zwar zu verdrängen. Aber das gelingt
nicht immer, und dann ist es schon demotivierend“, meinen die KTV-Asse
unisono.
Was die beiden Athleten und auch ihren Coach Henry Vogel stark belastet,
sind die Machenschaften der Verantwortlichen im Deutschen Turnerbund
(DTB). Vizepräsident Eduard Friedrich
und Sportdirektor Wolfgang William
entschieden, dass Tom und Sven sowie Sergej
Pfeifer (Hannover) und Sebastian Faust
(Halle) erst einmal aus dem ohnehin nur 14-köpfigen Kader für die
Olympischen Spiele in Athen 2004 suspendiert
werden.
Der wichtigste Grund:
Die Weigerung des Quartetts, in den nächsten zwei Jahren in
Stuttgart oder Berlin zu trainieren, zudem sollte auch Henry
Vogel nur noch in einem der beiden Orte arbeiten. Zu
dieser Konfrontation kam es während des vergangenen Lehrganges in
Kienbaum. Den Turnern und ihren Trainern wurde von Friedrich,
William und dem zu jener Zeit noch tätigen Chef-Bundestrainer
Rainer Hanschke (inzwischen zurückgetreten) ein angeblich
einstimmiger Beschluss des Lenkungsstabes (Athletensprecher René
Tschernitschek wusste davon als Mitglied nichts)
mitgeteilt, dass Athen-Kader künftig ausnahmslos an zwei Stützpunkten
trainieren dürfen. ( - siehe auch Wortmeldung von Renè
Tschernitschek) |

Trainer Vogel und
Kwiatkowski
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Diese Konzentration wäre der einzige Weg für
weitere Steigerungen bis 2004. „Nichts ist der Leistung zuträglicher
als die besten Leute aufeinander zu hetzen – und zwar Tag für Tag“,
formulierte dabei Eduard Friedrich drastisch und ließ keinerlei Bedenken
zu, weder von Trainern noch von Sportlern. (Zitat: Süddeutsche
Zeitung vom 4.September)
In Einzelgesprächen sollten die Athleten dann zu
den anvisierten Wechseln überredet werden.
„Ich habe klar gesagt, dass ich dagegen bin. Denn in Chemnitz konnte ich
mich auch deshalb so entwickeln, weil das soziale Umfeld stimmt. Hier habe
ich meine Familie, meine Freunde, optimale Trainingsbedingungen. Es
herrscht eine gute Atmosphäre. Wir werden vom OSP bestens betreut, haben
die Bundeswehrsportfördergruppe in der Nähe, uns einiges aufgebaut. Doch
meine Gründe wurden nicht akzeptiert“, berichtete Sven
Kwiatkowski, der als mehrfacher Deutscher Meister seit Jahren
zu den Stützen im Nationalteam gehört. Zudem verwies er auch darauf,
dass die Mannschaft das Jahr über mindestens 15 Wochen gemeinsam Lehrgänge
absolviert und die Konkurrenzsituation so permanent existiert.
Auch Tom Neubert, der sich an der
Seite von „Kwitschi“ in die Männerauswahl turnte und als EM-Sechster
am Reck dieses Jahr das wertvollste Einzelergebnis für den DTB erreichte,
versuchte, die Funktionäre mit ähnlichen Argumenten zu überzeugen.
„Man setzte mich dann richtig unter Druck, drohte auch mit Mittelkürzungen
für den gesamten Stützpunkt“, erzählte der 22-Jährige frustriert.

Sergej Pfeifer
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Bei Sergej
Pfeifer wurde ignoriert, dass er in Hannover bereits
eine berufliche Absicherung besitzt. Die gesamte Mannschaft war
mit den Festlegungen sowie der Vorgehensweise überhaupt nicht
einverstanden. Sie sprach daraufhin Cheftrainer Rainer Hanschke,
der sich bei dieser Sache in keiner Weise im Interesse der
Athleten einsetzte und auch zuvor schon oft bei Wettkämpfen pädagogisch
versagt habe, das Misstrauen aus. Er warf daraufhin das Handtuch.
Dann wandte sich das Team mit einem Brief an DTB-Präsident Rainer
Brechtken. Eine extra anberaumte Zusammenkunft mit ihm in Berlin
brachte zunächst keine neuen Entscheidungen. |
KTV-Geschäftsführer
Hans Müller, der auch in seiner Funktion als Präsident der
Deutschen Turnliga schon mehrfach auf einen Gedankenaustausch mit den
Verantwortlichen gedrängt hatte, kam während der gestrigen Beratung mit
den Leistungssportvertretern der Landesverbände mit Friedrich zusammen:
„Er beharrte weiter stur auf seiner Position,
ging aber wenigstens soweit, dass bis zur Einzel-WM alles beim Alten
bleibt. Ab 1. Januar 2003 soll es dann die Veränderungen geben“,
informierte der Chemnitzer, der jedoch wie gewohnt kämpferisch bleibt.
Für Ende September hat er die DTB-Funktionäre nach Chemnitz eingeladen,
um ihnen nochmals eindringlich auch die negativen Folgen ihre Maßnahmen
zu verdeutlichen. Die gesamte Nachwuchsarbeit, die zu den erfolgreichsten
in Deutschland gehört, wäre zum Beispiel in Gefahr, wenn die Vorbilder
fehlen.
Martina Martin (Freie Presse, Chemnitz).
Kommentar:
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Falscher
Weg: Athleten ausgebootet
Von Martina Martin / Freie Presse, Chemnitz
Kräfte für eine Sache stärker zu
konzentrieren, ist vom Prinzip her keine schlechte
Sache. Doch angedachte Maßnahmen müssen einen Sinn erkennen
lassen und sollten
nicht schon vorher wertvolles Porzellan - wie im Falle des
Deutschen Turnverbandes
geschehen - zerschlagen. |
Mündige
Athleten von Mitte 20
sowie deren Trainer werden nicht nur mit völlig unüberlegten
Festlegungen ohne
vorherige Diskussion konfrontiert, auch die Art und Weise, wie
man vorging,
spottet jeder Beschreibung.
An sechs Stützpunkten
trainieren derzeit die wenigen Asse, die schon nächstes
Jahr bei der WM um die Olympiaqualifikation kämpfen müssen.
Nach Sydney (10.
Platz) und dem Tiefpunkt bei der WM 2001 (14.) gelangen bei der
EM wieder Steigerungen (5.),
doch konzeptionell passierte auf Verbandsebene so
gut wie nichts. Anstatt jedoch bestehende Bedingungen so zu
verbessern, dass
die zaghaften Achtungserfolge im schweren internationalen
Vergleich ausgebaut
werden können, sollen Zwangswechsel kurzfristig das
Allheilmittel sein?
Anstatt den hart trainieren Athleten den Rücken zu stärken,
werden sie unter
Druck gesetzt und völlig verunsichert. Eine
Rückkehr in die Spitze bleibt mit derartigen Maßnahmen noch
lange Utopie.
Doch halt, DTB-Vizepräsident Friedrich bewertet das völlig
anders.
Er sieht künftig eigentlich
nur noch die Chinesen vor den Deutschen. Eine Einschätzung,
die genauso an der Realität vorbeigeht wie das von ihm
propagierte
"Aufeinanderhetzen" der Sportler als Erfolgsgarant.
Quo vadis, deutsches
Turnen?
Zitat
des Tages:
"Potenziell ist dieses Team sogar
fähig, ganz vorne mitzumischen - mal
abgesehen
von den unerreichbaren Chinesen."
Eduard Friedrich,
DTB-Vizepräsident des DTB zum Leistungsvermögen der
deutschen Turner |
(Fotos, Hervorhebungen:
gymmedia)
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