update: 10-July-2002

Stuttgart

"Das klitzekleine Bisschen vom ICH"

Eine Ballettelevin blickt zurück....
Sandy Liebehenschels zweite Karriere

(von Sandy Liebehenschel)

  Blick zurück im Zorn... ?
Nein, eher Blick zurück mit Erleichterung und ein klein wenig Dankbarkeit

Da werde ich oft gefragt, warum, warum, warum...
So richtig kann und möchte ich es eigentlich auch heute noch nicht in Worte fassen, warum ich mit der Rhythmischen Sportgymnastik aufgehört habe, denn es liegt mir fern irgend jemandem weh zu tun, oder gar Schuldige zu suchen. Es hat wohl einfach so sein sollen.

Wenngleich es mein großer Wunsch ist, dass mein so früher sportlicher Abgang wenigstens als Denkanstoß den vielleicht Verantwortlichen im Kopfe sein möge. Da ich das große Glück hatte, einen nahtlosen Übergang von der RSG zum Ballett zu bekommen, fiel ich in kein Loch. Selbst wenn ich in den vergangen Monaten oft "gelöchert" wurde, war positiv zu merken, da gibt es Menschen, die Anteil an meinem sportlichen Schicksal nehmen und mir vieles offenbarten, was ich vordem nur erahnte und nun bestätigt wurde.

Ich will jetzt einfach mal versuchen, die RSG-Vergangenheit im Vergleich zum Ballett Revue passieren zu lassen und einen Blick in die Zukunft zu tun. Vielleicht mag daraus ja zu lesen sein, wieso alles so und nicht anders kommen musste und letztendlich auch kam.
... was ist der Unterschied:
Eigentlich ganz einfach, oder doch nicht? "Panta rhei" = alles fließt...
Beim Ballett ist tatsächlich alles weich und fließend. Die Arme sind der "Taktstock" wobei der Kopf dann die Bewegungen begleitet und die Beine die Musik entsprechend umsetzen. Aber eigentlich nicht nur die Beine, der ganze Körper, die Musik wird vom Körper aufgenommen und in das was man, in diesem Falle ich, empfindet, umgesetzt - ich lasse mich sozusagen tragen von der Musik, oder besser die Musik trägt mich...
Bei der RSG wurde alles gestreckt, je mehr je besser, je höher, je tiefer je besser ohne Winkel der Arme z.B., dem Gerät entsprechend umgesetzt, es blieb keine Zeit bei vorgegebenen 90 Sekunden Zeit der Darbietung, die eigenen Empfindungen der Musik zu zeigen. Kaum gelang es, auch nur andeutungsweise, Tanzschritte zu zeigen. 

Das geforderte Maß an Schwierigkeiten  musste drin sein, da blieb meistens das Persönliche der Gymnastin auf der Strecke. Nur manchmal blitzte ein klitzekleines Bisschen vom ICH durch. Doch wer sah es, konnte es deuten? Selbst der kleinste Wackler wurde nicht übersehen - wurde "bestraft"...

 

Das Schöne beim Balletttraining ist, es wird keinerlei Druck auf mich ausgeübt. 
Alles was ich mache, tue ich für mich und für mein späteres Publikum.Ich  m ö c h t e  mich bewegen, tanzen um irgendwann die Zuschauer vielleicht begeistern zu könne. Ihnen zeigen, was für ein tolles Gefühl es ist, sich von der Musik leiten zu lassen und nicht von dem, was von einem Code de Pointage vorgegeben wird. Ja, RSG ist wunderschön anzusehen, aber wie die jahrelange Arbeit in der Halle aussieht ... wer sieht sie... und irgendwann gibt es vielleicht gesundheitliche Probleme. Ein wahrlich teuer bezahltes Hobby!

Das Training:
Ballett ist auf langlebig angelegt und nicht auf ein kurzfristig zu erreichendes Ziel. Im Ballettsaal herrscht eine heimelige und ganz besondere Atmosphäre.
Keine Kränkungen, Demütigungen oder Verletzungen mit Worten. Einfach eine ganz andere Welt. Das Wort Kunst liegt in der Luft, es ist zu spüren und zwar stets - und dies auch beim Umgang miteinander (Kunst kommt ja von Können!). Die Eleven, egal ob weiblich, ob männlich, das Lehrpersonal, die Schulleitung, die Erzieherinnen im Internat, bis hin zum Küchen- und  Waschsalonpersonal, gar selbst die Herren der Pforte möchte ich nicht auslassen, allesamt haben das gewisse ETWAS.

Diese andere Welt spürte ich bereits bei meinem ersten Kontakt mit der Welt des Balletts, als ich in Karlsruhe mit Tänzern des dortigen Staatstheaters bei einer Gala mitwirkte und auch einen Solopart hatte. Da wusste ich bereits, hier werde  ich einst zuhause sein.

Dies spürt wohl auch seinerzeit Frau Dr. Brzcank, sie war damals die oberste RSG-Chefin des DTB, denn sie kam nach der Vorführung zu mir und gratulierte und meinte: "Sandy, nicht dass wir dich nun ans Ballett verlieren....". Doch da war ich noch weit davon entfernt, um meinen zweiten großen Traum zu verfolgen.
Übrigens, sie war es auch, die mir einige sehr, sehr nette Zeilen anlässlich meines Ausscheidens aus 

der RSG sandte, die nicht nur ihr Bedauern ausdrückte, sondern sich auf ein Wiedersehen mit mir auf den "Brettern, die die Welt" bedeuten, freut. Eigentlich die Einzige, zumindest auf dieser Ebene. Schade, dass es von ihrer ehrlich, fairen, menschlichen und liebevollen Art, so wenige gibt, denn dann hätte ich wahrscheinlich nicht so kurz vor Erreichen meines Traumes aufgehört.

 

 Als ich dann ein weiteres Mal bei einer Silvester-Gala mit einem ersten Solisten des Stuttgarter Balletts mitwirken durfte, kristallisierte sich die Zukunft Ballett  mehr und mehr für mich heraus.......

Die Zukunft:

Da fällt mir zunächst die Vergangenheit ein. Ich war wohl drei Jahre alt/jung, da sah ich in Hamburg "Cats". 

Ich war total begeistert und dachte, das möchte ich auch mal tun: Tanzen, tanzen, tanzen und als ich dann noch hinter die Kulissen schauen durfte, und die "Bombalerina" eine Bekannte von uns mich während der Vorstellung dazu noch "beschnupperte" und "beschnurrte", setzte sich schon etwas in mir fest, nur ich konnte es damals noch nicht identifizieren . Heute weiß ich, dass eine/meine Zukunft als Tänzerin  schon etwas Großartiges wäre.
Doch vor den Preis haben die Götter den Schweiß gesetzt. Dieser jedoch ist durch die tolle Atmosphäre in der John Cranko-Schule gar nicht  unangenehm spürbar, sondern ich kann es kaum erwarten, bis das nächste Training beginnt. Nutze sogar freiwillig die freien Stunden, um zu "Arbeiten".

 

Mein RSG-Traum Olympia ist zwar geplatzt, besser gesagt, wurde zum Platzen gebracht, doch mein Traum Ballett findet nun eine sehr positive Fortsetzung, denn so meine ich, die Wurzeln der RSG liegen ja beim Ballett.  So ist meine RSG-Bilanz wenn ich zurückblicke, je mehr Zeit vergeht, inzwischen nicht mehr düster, denn ich kann wieder lachen, denn dies tue ich sehr, sehr gerne und zwar kein aufgesetztes, sondern ein herzliches befreiendes Lachen. Und für die ganz ferne Zukunft gibt es einen weiteren Traum für mich: Es ist der Sportjournalismus - vielleicht für die Zeit nach dem Tanz? Habe grad ein "BOGY" (Berufsorientierung am Gymnasium) hinter mir beim SWR Hörfunk/Sport in Stuttgart und bin total fasziniert von diesem Metier. Wenn nicht jede Faser meines Körpers nach Tanz rufen würde, würde ich gleich hier zielstrebig  loslegen. Schon heute weiß ich, dass ich in den Sommerferien (die gibt es beim Ballett tatsächlich) wiederum beim SWR praktizieren möchte, will sagen schnuppern werde, denn auch dort gibt es den ganz besonderen Bazillus, der etwas zum Kribbeln bringt."

Sandy Liebehenschel
John-Cranko-Ballettschülerin
Ehemalige Leistungsgymnastin
Deutsche Vizemeisterin
5-fache Deutsche Jugendmeisterin

>> Am Donnerstag, den 11. Juli 2002 
bestreitet Sandy ihren ersten großen Ballettabend
mit einem Solopart im Stuttgarter Theater

Nachtrag (10-Jan-2004):
Aus gesundheitlichen und Belastungsgründen rieten die Ärzte Ende 2003 von der Fortsetzung einer Karriere als Balletttänzerin ab.
(- siehe GYMmedia-News vom 10-Jan-2004).

(Red.: Eckhard Herholz/
(c) gymmedia)

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